Juni 15, 2023

hilfszügel – abkürzung mit nebenwirkungen

hilfszügel werden beim reiten oder beim longieren gern dann ans pferd geschnallt,
wenn man es in die richtige haltung bringen möchte (und keinen anderen weg dorthin sieht).

es stimmt natürlich:
so manches, was man an der longe oder unterm sattel sieht, ist nicht schön und auch der gesundheit des pferdes nicht zuträglich.
fairerweise muss man festhalten, dass mindestens so vieles (oder noch mehr), was man unter verwendung von hilfszügeln sieht,
nicht schön und für die gesundheit des pferdes nicht zuträglich ist.

hilfszügel pferd

nun gibt es klarerweise die unterschiedlichsten hilfszügel mit verschiedenen wirkungen:
ausbinder, dreieckszügel, chambon, tiedemann oder der besonders verpönte schlaufzügel, um nur einige zu nennen.

ihnen allen ist eines gemeinsam: sie sollen dem menschen helfen, nicht dem pferd.

um es noch drastischer zu formulieren:
sie sollen dem menschen helfen, das pferd in eine bestimmte form oder haltung zu bringen,
die er mangels ausbildung anders nicht hinbekommt.

wobei es einerseits an der ausbildung des pferdes liegt:
wenn ein pferd völlig verritten wurde oder stocksteif ist,
kann es an der longe klarerweise nicht in schöner selbsthaltung und mit korrekter biegung laufen.

andererseits liegt es an der mangelnden ausbildung des menschen im sattel,
dem die fähigkeit oder die kenntnisse fehlen, das pferd über sitz und zügel in korrekter haltung zu reiten.
was liegt da näher, als etwas „nachzuhelfen“?

abkürzung oder sackgasse?

was wie schnelle abhilfe oder eine abkürzung zu einem sonst nur langwierig erreichbaren ziel wirkt,
stellt sich allerdings rasch als sackgasse heraus.

der grund dafür ist simpel:
die hilfszügel setzen alle am vorderen ende des pferdes an, also am kopf und genick.
die haltungsprobleme kommen alle vom hinteren ende des pferdes.

wie aktiv die hinterhand ist, wieviel schub das pferd daher entfalten kann,
wie gut es untertritt und gewicht in der biegung korrekt aufnimmt,
das alles ist eine frage von gleichgewicht im pferdekörper und schulung der hinterhand.

die aber lässt sich über keinen hilfszügel der welt positiv beeinflussen.

im gegenteil: oft wirkt sich die verwendung von hilfszügeln auch „hintenrum“ negativ aus.
wenn der kopf in eine bestimmte haltung gezwungen und/oder das genick verspannt wird,
werden vorne gelenke blockiert (zum beispiel kiefer oder genick),
was dazu führt, dass beweglichkeit im ganzen körper eingeschränkt wird
und andere gelenke mitblockieren (der zusammenhang kiefer- und hüftgelenk sei da nur genannt).

und das noch ohne dass ein mensch draufsitzt.

kommt dazu nun noch reiter mit schlechtem sitz,
der dem pferd den rücken wegdrückt und die kraftübertragung von hinten nach vorne behindert,
dann bringt kein hilfszügel der welt das pferd dazu,
eine schöne dehnungshaltung einzunehmen oder sich korrekt an den zügel zu stellen.

der hilfszügel macht das problem für das pferd nur noch größer
und kaschiert das problem des schlechten reitens durch eine künstlich herbeigeführte oder erzwungene kopfhaltung.

plädoyer für ausbildung

die vermeintliche abkürzung schadet also mehr als sie bringt.
es führt kein weg um eine solide ausbildung herum, wenn schönes und biomechanisch richtiges reiten das ziel ist.

es muss erstens das pferd körperlich vorbereitet werden darauf,
das reitergewicht nicht nur zu tragen, sondern sich damit auch geschmeidig und im gleichgewicht zu bewegen.

es muss zweitens der mensch lernen, das pferd vom boden aus zu gymnastizieren, um es aufs reiten vorzubreiten.

und es muss drittens der mensch seinen sitz schulen und das feine reiten einüben,
um von sich aus und ohne mechanische einwirkung von hilfszügeln das pferd  in richtiger haltung zu reiten.

dauert das anfangs länger? ja, vermutlich.
andererseits spart es später zeit für korrekturen.
wenn der mensch von anfang an sitz und reiten biomechanisch richtig lernt,
muss er später nicht seine muskelerinnerungen mühevoll umbauen auf feines reiten,
sondern verfügt bereits über die richtigen fähigkeiten.

mal ganz abgesehen davon, dass man auf diese weise viel länger ein zufriedenes pferd mit gesundem rücken hat.

ps: wie man schon beim longieren einen beitrag zur gymnastizierung leisten kann (nämlich ohne jeglichen hilfszügel), das wird und demnächst im webinar „gymnastizierung an der longe“ genauer beschäftigen.

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