Dezember 8, 2023

nicht fürs alleinsein gemacht – soziale isolation bei pferden

pferde sind herdentiere, das wissen alle.
das bedeutet aber noch lange nicht, dass es in haltung und umgang mit dem pferd auch ernst genommen wird.

herdentier sein, das heißt unter anderem:

mit artgenossen leben wollen.
soziale interaktion mit anderen pferden brauchen.
gesellschaft von artgenossen benötigen.
sicherheit durch das herdengefüge beziehen.

ganz besonders bedeutet das auch:
das fehlen von artgenossen erzeugt stress.

alleinsein macht stress

wie sehr pferde auf gesellschaft angewiesen sind, zeigen stressmessungen bei isolierten pferden.
steckt man ein pferd zu testzwecken in eine box ohne stallnachbarn oder auch nur sichtkontakt zu anderen pferden,
dann kann man bereits nach nur 15 minuten einen deutlichen anstieg der stressfaktoren im körper messen
(herzfrequenz und cortisol-spiegel, wer’s genau wissen mag).

schon das aufhängen eines spiegels, der die illusion von pferdegesellschaft vorgaukelt,
mildert den stress nachweislich.
und das nicht nur in der box, sondern auch beim transport.
wird in einem pferdehänger ein spiegel angebracht,
sind die pferde bei der fahrt messbar ruhiger und zeigen weniger stressbedingtes verhalten.

ein spiegel!

was würde da erst ein wirklicher artgenosse für einen unterschied ausmachen?

nun heißt das natürlich nicht, dass ein pferd keine minute allein sein kann.
das wäre für ausritte alleine oder eine trainingsstunde am reitplatz auch schwierig.
es erklärt allerdings, warum es durchaus pferde gibt, die damit ein problem haben.

wie sehr das pferd mit kurzfristiger isolation von anderen pferden klarkommt,
hängt von mehreren faktoren ab:

der mensch als ersatz?

erstens natürlich der sozialisation des pferdes.
ein pferd, das seine ersten lebensjahre nur in pferdegesellschaft verbracht hat –
zum beispiel weil es auf einer idyllischen aufzuchtweide irgendwo in den bergen aufgewachsen ist  –
ist deutlich stärker auf andere pferde geprägt und bezieht weniger sicherheit aus der gesellschaft seines menschen.

hat das pferd hingegen von klein an eine stabile und vertrauensvolle beziehung zu seinem menschen,
das bietet der auch mehr halt und sicherheit und kann eine vorübergehende trennung von der herde besser kompensieren.

allerdings gibt es dabei große individuelle unterschiede,
die von angeborenen faktoren einerseits und der aktuellen verfassung andererseits abhängen.

eine zentrale rolle spielt dabei die erregbarkeit und „nervigkeit“ des pferdes,
sprich seine anfälligkeit für stress.
je leichter sich ein pferd aufregt, desto schneller ist es gestresst
und desto mehr braucht es den rückhalt der pferdeherde.

sprich: ein gestresstes pferd steckt den zusätzlichen stress vom alleinbleiben nicht mehr weg.
die folge sind unruhe, schreckhaftigkeit, „kleben“, wiehern nach artgenossen und ähnliches.

man kann davon ausgehen, dass das umso schlimmer ist,
je weniger das pferd in seinem alltagsleben seine sozialen bedürfnisse decken
und daraus sein grundlegendes gefühl von sicherheit beziehen kann.

genau da liegt vielfach ein problem…

das pferd in menschenhand

die haltungsformen von pferden, vor allem bei sportpferden, aber auch im freizeitbereich,
sind nicht auf die sozialen (und anderen) bedürfnisse des pferdes abgestimmt,
sondern auf einfaches stallmanagement und günstige kostenstruktur.

das führt dazu, dass immer noch viele pferde in boxenhaltung oder auf kleinen paddocks leben,
zwar andere pferde sehen, aber keine echte interaktion haben können.

putzplätze und der platz, wo tierarzt und hufschmied arbeiten, liegen außerhalb des sichtbereichs anderer pferde.
pferde werden alleine transportiert, stehen alleine in der klinik oder fahren alleine aufs turnier.
da darf man sich dann nicht wundern, wenn alle diese situationen noch zusätzlich stressbehaftet sind.

spiegel sind dafür jedenfalls nicht die lösung.
selbst wenn sie im aktufall den stress des pferdes ein wenig abmildern,
gehen sie am sozialen bedürfnis vorbei.

man sollte daher gut überlegen,
wo man sein pferd einstellt oder wie man das eigene pferd hält –
nämlich am besten in einer herde aus verträglichen tieren,
und wie man den täglichen umgang mit dem pferd so gestalten kann,
dass man das alleinsein – vor allem bei jüngeren oder unsicheren pferden – möglichst vermeiden kann
und dem pferd zumindest den blickkontakt auf einen artgenossen erlaubt.

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