du hast den satz sicher auch schon gehört: das ist eben ein dominantes pferd!
in der regel gefolgt von:
da musst du aufpassen.
du musst dich durchsetzen.
das kann gefährlich werden.
und ähnliches.
es stimmt schon:
alleine durch die größe kann unangemessens verhalten bein pferd rasch gefährlich werden.
doch liegt das an der „dominanz“?
im letzten artikel haben wir uns die rangordnung in der pferdeherde bereits genauer angesehen
und dabei festgestellt, dass „dominanz“ keine fixe eigenschaft ist –
und eigentlich ein überholter begriff.
nicht viel anders sieht das im bezug auf das verhältnis zwischen pferd und mensch aus.
auf diese beziehung ist die sozialstruktur der herde sowieso nicht zu übertragen.
werder verhalten wir menschen uns wie pferde, noch leben wir in die herde integriert
noch sind pferde so dumm, einen menschen für ein pferd zu halten.
für den umgang zwischen mensch und pferd braucht es daher sowieso andere spielregeln.
und ja: regeln braucht es selbstverständlich.
sie haben nur nichts mit „dominanz“ zu tun,
schon gar nicht, wenn man unter dominanz ein harsches verweisen des pferdes in seine grenzen versteht
oder einen strengen oder herrischen umgang.
die probleme liegen nämlich ganz woanders.
wenn ein pferd unangemessenes verhalten an den tag legt,
das gemeinhin als „dominant“ eingestuft wird,
dann handelt es sich dabei immer (!) um eines dieser drei motive
1. mangelnde erziehung
die häufigste ursache von rüpeligem oder „dominantem“ verhalten des pferdes dem menschen gegenüber ist simpel:
das pferd hat es schlicht nicht anders gelernt.
es mangelt entweder an der grunderziehung
oder das pferd hat mit unerwünschtem verhalten (vom menschen unbeabsichtigt) erfolg gehabt und es dadurch gelernt.
ich werde nie den großen braunen wallach aus dem springsport vergessen,
der mir als ein schwerer fall von dominanz dem menschen gegenüber angekündigt wurde.
schon am telefon versicherte mir die halterin, dass es wirklich dominanz sei
und nicht etwa stress (bonuspunkte dafür, dass sie das zumindest in erwägung gezogen hat).
vorgefunden hat ich einen durchaus etwas gestressten wallach,
vor allem aber ein pferd, dessen erziehung nur unter dem sattel erfolgt war.
er kannte sein sprungtraining,
er wusste, was der mensch im sattel von ihm wollte und tat das auch brav.
was der mensch am boden am anderen ende des führstricks wollen könnte,
hatte er aber nie gelernt
(und der mensch an diesem führstrick auch nie, wie korrektes führtraining aussieht).
daher zog er eben dorthin, wo er hingehen wollte –
in der regel einen meter neben dem weg, um ein paar grashalme zu ergattern.
ausgelegt wurde ihm das dann aber als „dominanz“.
die ausbildung am boden und solides training für ein reibungsloses handling kommen oftmals zu kurz.
oder aber das pferd hat schon in jungen jahren gelernt, dass der mensch dabei grob vorgeht
und daher seine vermeidungsstrategien entwickelt.
die allermeisten „verstöße“ gegen das gewünschte verhalten dem menschen gegenüber
rühren einfach daher, dass das pferd das richtige verhalten nicht kennt
oder fürs falsche verhalten belohnt wird (mit aufmerksamkeit, ansprache, abmahnen,…).
wenn das pferd die jackentaschen nach keksen durchsucht,
wenn es beim führen richtung wiese abbiegt
oder den menschen beim aufhalftern anrempelt,
dann sind das schlechte manieren, zeichen einer fehlenden kinderstube,
aber keine anzeichen für „dominanz“.
2. zu hoher stress
nun gibt es sehr wohl fälle, wo das pferd die spielregeln durchaus kennt,
sich aber nicht daran hält.
statt ruhig auf dem putzplatz zu stehen, trippelt es herum.
beim aufsitzen hält es nicht still, sondern tänzelt schon los.
es knabbert am führstrick oder lässt sich nicht allein vom stall wegreiten.
das alles sind deutliche zeichen von stress beim pferd.
es kann in diesem augenblick vor lauter aufregung
und aufgrund der im körper vorhandenen stresshormone nicht anders.
alles, was ruhe und gelassneheit, überlegtes vorgehen und impulskontrolle erfordern würde,
klappt unter stress kaum oder gar nicht mehr.
dominant ist daran gar nichts, überfordert oder gar verzweifelt schon einiges.
dem pferd nun mit „durchsetzen“ (= noch mehr druck und stress) zu begegnen,
wäre grundfalsch und würde das problem noch größer machen.
das pferd braucht die chance, zur ruhe zu kommen.
die stressursachen müssen behoben werden –
dann kann es auch ganz von selber wieder die gelernten spielregeln gut einhalten.
3. aggressives verhalten
in seltenen fällen reagiert ein pferd auf ein anforderung – manchmal auch nur auf die anwesenheit – des menschen mit aggression.
aggression ist allerdings kein ausdruck von dominanzt,
sondern abwehrverhalten.
das pferd empfindet etwas als bedrohung oder gefahr
und hat das gefühl, sich dagegen wehren zu müssen.
ob die gefahr in unseren augen real ist oder nicht,
ob die abwehr notwendig erscheint oder nicht, hat damit nichts zu tun.
dahinter stecken erfahrungen, die das pferd in ähnlichen situationen gemacht hat
und wo es überdies gelernt hat: gegenwehr ist seine einzige chance.
da aggressives verhalten von der dahinter steckenden angst ausgelöst wird
und angst eine sehr nachhaltig und häufig lange wirkendes motiv ist,
bleibt die abwehrhandlung oft auch dann noch das programm des pferdes,
wenn die ursprünglichen ursachen längst weg sind.
frei nach dem motto: einmal eine schlechte erfahrung, immer auf der hut.
klarerweise ist das letzte, was ein solches pferd braucht, „dominanztraining“ vom menschen,
das ihm nur nochmal bestätigt, dass menschen bedrohlich sind.
ein langsamer vertrauensaufbau und einfühlsamer umgang mit dem pferd sind die wesentlich bessere option.
nicht zu vergessen – vor allem bei plötzlich auftretendem aggressivem verhalten: die tierärztliche untersuchung.
denn hinter aggressivem verhalten stecken auch oft schmerzen.
wenn das pferd beim satteln nach dem menschen schnappt,
hat das in aller regel 100x mehr mit einem schlecht sitzenden sattel und rückenschmerzen zu tun, als mit „dominanz“.
man kann also getrost sämtliche warungen vor „dominanz“ bei pferden in den wind schlagen.
gleich zusammen mit der aufforderung, sich nur ja durchzusetzen.
was man jedoch sehr genau anschauen sollte, ist die nötige grunderziehung des pferdes
und das einhalten der geltenden spielregeln im umgang miteinander – und zwar von beiden seiten.