Oktober 6, 2023

was ist richtig in sachen rangordnung beim pferd?

unser bild von der rangordnung unter pferden ist manchmal etwas verzerrt.
das liegt zum einen daran, dass wir unter dem begriff rangordnung automatisch streng hierarchische strukturen wie im militär verstehen,
mit kommandogewalt und unterordnung sozusagen, und die ungefiltert aufs tierreich übertragen.

zum anderen ist es darauf zurückzuführen, dass wir kaum natürliches herdenverhalten beobachten können
und die dokus über wildlebende pferde den hengstkämpfen überproportional viel platz einräumen.

rangordnung beim pferd

klar: das ist spektakulär und liefert gute bilder.
das wirkliche herdenleben und die echten führungsaufgaben sind hingegen recht langweilig anzusehen.
oftmals merkt man von außen als mensch kaum, dass da die leitstute oder der hengst der herde grade was tun.

in freier wildbahn übernimmt die führung der herde die leitstute,
sie geht buchstäblich voran und weist den weg.
wildlebende pferde legen ja täglich große strecken in einem weitläufigen gelände zurück,
da sind die ortskenntnisse und die erfahrungen einer guten leitstute viel wert.

der leithengst hat hingegen den job, die herde zusammen zu halten
und gegen angriffe von außen zu verteidigen.
er ist also keineswegs der „boss“ der gruppe,
sondern die verteidigungsinstanz.

nicht zu vergessen: er ist auch der samenspender.
in jeder herde gibt es nur einen geschlechtlich aktiven hengst, der die nachkommen zeugt.
die junghengste verlassen mit der geschlechtsreife die herde
und schließen sich in eigenen junghengsteherden zusammen –
ein wirksamer schutz gegen inzucht.

ob das nun den hengst zum „herrn“ über die stuten oder aber zu deren „diener“ macht, sei dahingestellt…

bei den herden unter menschlicher obhut sieht das sozialgefüge notwendigerweise anders aus.
erstens gibt es gar keinen hengst in der herde (jedenfalls nicht in gemischten herden)
und zweitens mag es zwar eine souveräne stute geben,
sie hat aber keine aufgabe wahrzunehmen.

dazu kommt, dass die herden (falls die pferde überhaupt herdenleben haben) nicht lange gleich bleiben.
durch stallwechsel, neuzugänge und abwanderungen kommt es zu häufigen veränderungen in der herde.

herdendynamik

alles zusammen ergibt klarerweise eine völlig andere dynamik in der herde als bei freilebenden pferden.
welchen anteil hat nun die rangordnung am sozialgefüge?

dazu eins gleich vorweg:
die sozialbeziehungen unter pferden bestehen nicht nur aus rangordnung.
pferde sind sogar besonders dafür bekannt, dass sie freundschaften jenseits  jeglichen „rangs“ schließen und leben.

außerdem ist die rangordnung nichts fixes,
sie ändert sich selbst innerhalb einer gleichbleibenden gruppe gelegentlich
und manchmal existiert sie sogar nur anlassbezogen.

denn die rangordnung exisitiert nicht im luftleeren raum,
sondern immer nur zwischen aktuell zwei pferden in einer bestimmten situation.

ein beispiel:
wer ans futter darf, hängt nicht von einer fixen reihenfolge ab,
sondern davon, wem das futter gerade sehr wichtig ist,
wer das in dem moment für sich beansprucht,
wer diesen anspruch gegen andere durchsetzen möchte
und wer das auch kann.

es gibt genug pferde, die selbst ihr kraftfutter mit ihrem kumpel teilen würden,
egal welchen „rang“ der in der herde hat.
es gibt wieder andere, die sich in der herde sonst sehr zurückhalten und häufig ausweichen,
die ihr futter aber wütend verteidigen würden, wenn sich da jemand erdreistet.

dasselbe gilt auch fürs ausweichen:
immer wieder kann man beobachten, dass sehr gelassene, „rangniedrige“ pferde einfach ruhig stehen
und ein anderes schlicht um sie herum geht,
statt darauf zu beharren, dass der nun gefälligst zu weichen hat.

ist ein pferd jedoch sehr nervös und hat es in der herde (noch) wenig rückhalt,
läuft es oft schon bei der kleinsten kleinigkeit davon,
obwohl es sich zum beispiel kurz danach an einem anderen vorbei zum heu drängelt.

wenn es also keine fixe rangordnung gibt,
worum geht es dann?

ressourcen

im englischen bezeichnet der begriff „resource holding potential“ jenes konzept,
das die veraltete vorstellung von der hierarchischen rangordnung abgelöst hat.

man versteht darunter die fähigkeit eines pferdes,
eine ressource für sich in anspruch zu nehmen und diesen anspruch durchsetzen zu können.
der deutsche begriff dafür lautet „ressourcenkontrolle“.

ob ein pferd ressourcenkontrolle ausübt, hängt davon ab,
ob es eine bestimmte ressource in dem moment überhaupt haben möchte.

kein pferd, das gerade fresspause macht und in der sonne dösen möchte,
legt es gleichzeitig darauf an, andere „rangniedrigere“ von der heuraufe zu verdrängen.
kriegt es aber wieder hunger und will heu fressen, kann es schon sein,
dass es einen anderen von einem fressplatz verdrängt, den es haben will.

zu den ressourcen zählt alles, was dem pferd wichtig ist, nicht nur das futter.
also kraftfutter und heu, klar.
aber auch liegeplätze, das plätzchen in der sonne, der kratzbaum,
der sandplatz zum wälzen, ja sogar der mensch.

in der regel ergibt sich unser bild vom „ranghohen“ pferd in der herde daraus,
dass es ein oder mehrere pferde in der gruppe gibt,
die jederzeit jedes andere pferd von jeder ressource wegschicken können.

je nachdem, wie sozial souverän diese pferde mit mehr ressourcenkontrolle sind,
weichen die anderen problemlos aus, mucken dagegen auf und risikieren einen konflikt
oder flüchten bereits, denn der (ungut) ranghohe sich nur nähert.

was uns zu einem weiteren punkt bringt, der eine wichtige rolle fürs sozialgefüge bietet.

platzangebot

wie harmonisch und friedlich es in einer herde zugeht –
auch zwischen den sogenannt rangniedrigen und ranghohen –
hängt neben der zusammenstellung der herde auch vom vorhandenen platz ab.

je mehr platz die pferde haben, je weitläufiger die koppeln sind
und je mehr fressplätze es gibt, desto harmonsicher geht es zu.

zu viele pferde auf beschränktem platz und engstellen hingegen führen zu konflikten.
die selbe herde, die auf einer winzigen koppel recht turublent sein kann
und wo die ranghohen tatsächlich ein regiment über die anderen führen,
kann sich unter anderen haltungsbedingungen mit deutlich besserm platzangebot ganz anders verhalten.

denn das rangbezogene verhalten steht immer in engem zusammenhang mit stress.
untersuchungen haben gezeigt, dass den meisten stress in einer herde ohnehin
das ranghöchste tier einerseits und das rangniedrigste tier andererseits haben.

gibt es nun zu wenig platz und muss man dauernd wen verdrängen oder auswichen,
steigt der stresspegel.
was wiederum das ressourcenbezogene verhalten heftiger werden lässt
und zu noch mehr stress führt.

nicht umsonst sieht man bei tieren in gefangenschaft viel mehr ressourcenkonflikte
und viel mehr hierarchische rangordnungsbeziehungen wie bei wildlebenden tieren.

flexible beziehungen

was man in einer harmonischen herde auch beobachten kann:
da freunden sich nicht nur die ranghohen pferde an, ganz im gegenteil.

es gibt noch nicht mal immer eine klare reihenfolge.
pferd A kann zwar pferd B vom futter vertreiben
und pferd B vertreibt seinerseits pferd C vom futter.
es kann aber vorkommen, dass pferd A weichen muss, wenn pferd C kommt.
oder dass pferd C mit pferd A befreundet ist und vor pferd B nicht weicht, wenn pferd A dabei ist.

dass der „rang“ keine absolute größe ist, die das pferd für sich als eigenschaft hat,
zeigt sich auch daran, dass schon mal ein pferd in der herde im einen stall sehr rangniedrig war,
in einem anderen stall aber plötzlich ranghoch in die herde einsteigt.

so streng nehmen es die pferde selber also mit der rangordnung gar nicht.
wir sollten sie daher auch nicht überbewerten
und schon gar nicht schlussfolgerungen auf das beziehung zwischen dem pferd und seinem menschen ziehen.
was es mit den vermeintlich „dominanten“ pferden auf sich hat,
das ist dann thema im nächsten blog-artikel.
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