BLOG


by brigid

Oktober 2, 2022

hundeerziehung

in der theorie wäre hundeerziehung nicht wirklich kompliziert:
man nehme einen hund, die erkenntnisse der lernforschung und die wissenschaftlichen grundlagen zum hundeverhalten
und mache sich daran, die nötigen aufgaben aufzubauen.

aber nicht immer ist der hund ein unbeschriebenes blatt,
wo wir einfach der reihe nach die gewünschten lektionen „draufschreiben“ können.
bei einem hund mit – teil unbekannter – vorgeschichte
ist der erziehungsaufbau dann aber doch etwas schwieriger als bei frisch heimgeholten welpen.

vor allem aber ist da noch ein anderer faktor.
ein riesengroßer und entscheidender faktor:
der mensch.

also jener mensch, der die erkenntnisse der lernforschung
und die wissenschaftlichen grundlagen zum hundeverhalten
erstens kennen und verstehen
und zweitens umsetzen können muss.

das ist dann nciht ganz so einfach
wie die hundeerziehung eigentlich wäre.

hundeerziehung

das notwendige wissen muss man nämlich erst mal haben oder sich aneigenen (wollen).
zum glück verbreitet sich das immer mehr.
doch nach wie vor kursieren erschreckend viele mythen und märchen
oder sogar tierschutzrelevante informationen über die hundeerziehung.

als frischgebackener hundemensch muss man sich in der flut an büchern, videos,
internet-foren und TV-sendungen (die oft die schlimmsten sind) erst mal zurechtfinden!

doch selbst, wenn man die besten trainingsmethoden und erziehungstipps zur verfügung hat,
läuft es nicht immer wie gewünscht.

daran ist ein phänomen schuld, das wir aus anderen lebensbereichen kennen
und das vor der hundeerziehung nicht halt macht:

die selbstsabotage.

in der psychologie bezeichnet man damit das verhalten von menschen,
die mit ihrem eigenen (meist unbewussten) verhalten verhindern,
dass sie ihre wünsche und ziele erreichen.

glaubt man den psycholog*innen, ist selbstsabotage ein weit verbreitetes phänomen,
weil der mensch eben nicht vorwiegend durch rationale motive gesteuert wird.
wichtig sei es, den eigenen mustern der selbstsabotage auf die spur zu kommen,
um besser mit ihnen umgehen zu können.

dann wollen wir das doch für die hundeerziehung mal machen.
da gibt es nämlich meiner beobachtung nach drei weit verbreitete kategorien von selbstsabotage.

 

1.  mosaik-training

sehr viele hundemenschen gehen in der hundeerziehung nach dem prinzip „mosaik training“ vor.
gemeint ist, dass sie sich einzelne elemente rauspicken,
ausgewählte übungen aufbauen und den rest vernachlässigen.

häufig sieht man, dass ein paar grundübungen gemacht werden (aber nicht gefestigt!)
und dann die suche nach „tipps“ losgeht, wie man die auftauchenden „baustellen“
(hund pöbelt an der leine, schnappt spielerisch nach menschenhänden, springt an besuchern hoch, lässt sich nicht von anderen hunden wegrufen,…..) in den griff bekommt.

das klappt natürlich nicht, weil dem hund das fundament fehlt,
mit dem er die alltagssituationen oder spezielle aufgaben bewältigen könnte.

man kann sich das so vorstellen, als würde man jemandem nur jeden zweiten buchstaben des alphabets beibringen
und dann von diesem menschen erwarten, dass er schöne sätze schreibt
oder dass er sogar nietzsche liest.

das würde keinem einfallen.
im hundetraining machen wir das aber überraschend oft so.

meist aus dem glauben heraus,
– dass der hund etwas eh schon kann, was er nur halb gelernt und nie ausreichend gefestigt hat
– dass man das mit dem hund sowieso nicht brauchen wird (wie beispielsweise maulkorb-gewöhnung oder medical training) – bis man’s dann plötzlich doch braucht.

bruchstückhaftes grundwissen ergibt nun mal leider nur ein sehr wackeliges fundament
und will man darauf ein komplexes gebilde stellen, besteht einbruchsgefahr.

umgelegt auf den alltag mit hunden:
wenn der hund kein aufmerksamkeitstraining kennt, die leinenführigkeit oder der rückruf schlampig aufgebaut wurden und seine impulskontrolle nicht entwickelt wurde, gibt es nur zu oft probleme, wenn eine aufregende hundebegegnung ansteht oder besuch an der tür klingelt.

wie man das vermeidet:
nicht jeder hund muss alles können, aber jeder hund braucht seine solide grunderziehung.
am besten geht man sein alltagsleben mit dem hund durch und überprüft,
– welche situationen zu bewältigen sind
– was der hund dafür geübt haben muss
– mit welchen ablenkungen diese übung gefestigt werden muss
– ob der dazu nervlich (stichwort erregungspegel) und emotional (stichwort unsicherheit) in der lage ist
– ob dem hund genauso wie dem menschen vollkommen klar ist, welches verhalten jetzt angesagt ist.

wer eine liste der themen anschauen möchte, die für jeden hund in die grunderziehung gehören, kann mal die module in den „hunde basics“ durchschauen, die eine gute orientierung geben (oder sich zum kurs anmelden und dem hund alles mitgeben, was er braucht).

 

2. (selbst)zweifel

wer daran zweifelt, dass
a) der eigene hund
b) man selber
imstande ist, bestimmte übungen oder bestimmte situationen gut hinzukriegen,
wird fast automatisch daran scheitern.

klassisches beispiel: das leinentraining
wenn jemand fix überzeugt ist, dass hunde nun mal an der leine ziehen.
wenn dazu die erfahrung kommt, dass der eigene hund regelmäßig an der leine zieht.
wenn dazu noch die eigene unfähigkeit erlebt wird, das zu verhindern
oder die unfähigkeit des hundes dazukommt, auf den menschen zu hören,
dann geht das leinentraining den bach runter.

nicht weil der hund es nicht lernen und der mensch nicht konsequenz aufbringen könnte.
sondern weil die zweifel dazu führen, dass man zu spät dran ist mit dem belohnen,
dass man nicht überzeugt davon ist, dass konsequenz (=nicht ziehen lassen) sich lohnt
und weil daher der glaube fehlt, dass man die leinenführigkeit innerhalb von wenigen tagen problemlos aufbauen könnte.

das ergebnis:
die bestätigung der zweifel an sich selbst und dem hund,
weil er ja immer wieder an der leine zieht.

die selbstzweifel können banale ursachen haben:
man hat bislang keinen erfolg mit dem leinentraining, weil man die falschen methoden versucht hat,
daher zweifelt man, das es überhaupt geht.
(das ließe sich ja mit der passenden methode rasch beheben).

sie können auch weit tiefergehende ursachen haben,
die aus anderen lebensbereichen und einem geringen selbstwertgefühl herrühren.
das wäre dann sache einer psychologischen begleitung.
aber zumindest dem hund könnte man ja ein wenige vertrauen…

wie man das vermeidet:
das einfachste rezept gegen zweifel am hund und an der eigenen fähigkeit, dem hund was beizubringen,
sind erfolgserlebnisse.

der hund lernt ja über erfolg.
also daran, dass ein bestimmtes verhalten ein angenehmes ergebnis bringt (lob, belohnung, ein spiel,….)
je häufiger er erfolgserlebnisse sammeln kann, desto rascher lernt er eine sache
und desto höher ist vor allem seine motivation, das auch zu tun!

das gilt für den menschen ganz genau so.
wenn wir mit dem hund was üben und es klappt, haben auch wir ein erfolgserlebnis.
üben wir was und es funktioniert nicht, sind wir hingegen frustriert (und füttern den (selbst)zweifel).

der trick besteht daher darin, das training immer so kleinschrittig aufzubauen,
dass wir – hund wie mensch – bei jedem schritt ein erfolgserlebnis haben.
rasch sichtbare trainingserfolge sind das resultat – und ein wunderbares mittel gegen (selbst)zweifel.

einer von vielen gründen, warum ein systematischer trainingsaufbau
und hundeerziehung über positive bestärkung so wichtig sind.

 

3. eh-wissen

eine besondere gruppe stellen im hundetraining jene menschen dar,
die hinweise und tipps, wie sie’s besser machen könnten,
regelmäßig mit dem satz „weiss ich (eigentlich) eh“ quittieren.

die treten in zwei formen auf:

da wären einerseits jene, die gerade in der aufbauphase einer übung sind
und dabei gegen eigene gewohnheiten oder reaktionsmuster angehen müssen.
das kriegt man nicht von heute auf morgen hin, sondern das erfordert eine gewisse übungszeit für sich selber,
bis man das, was man weiß, auch umgesetzt kriegt.
das ist völlig normal und völlig in ordnung.

schwieriger ist es bei der zweiten kategorie von „eh wisser*innen“.
die wissen’s auch, aber schon lange.
trotzdem findet die umsetzung nicht statt.
sagen wir mal so: wenn du nach 3 monaten bei einer neuen übung immer noch sagst „ja, eh…“,
dann läuft was gröber falsch.

dahinter verbirgt sich öfter mal die vorstellung,
es wäre allein der hund, der was zu lernen hat oder „funktionieren“ soll.
oder die entschuldigung für sich selber,
dass man „die nerven/die geduld nicht hat“
(die man vom hund aber erwartet!).

es kann die weigerung dahinter stecken, die eigene komfortzone zu verlassen.
spoiler alert: hundeerziehung heißt immer auch, selber dazu lernen und an sich selber was ändern.

es können natürlich die oben genannten selbszweifel am werk sein.
oder aber es laufen schlicht unbewusste reaktionen ab, denen man noch nicht auf die schliche gekommen ist.

wie man das vermeidet:
wenn du dich dabei erwischt, (wieder) etwas zu machen,
von dem du genau weißt, dass es nichts bringt –
zum beispiel signale wiederholen, den hund rufen, wenn es aussichtslos ist
oder selber an der leine ein wenig ziehen-
dann frag dich bitte:
– hilft das meinem hund, die sache besser zu machen (eher nein)
– was bringt es mir selber (emotional, ….)
– ist das eine gewohnheit und wenn ja, durch welche bessere gewohnheit kann ich sie ersetzen
– wie übe ich die neue gewohnheit am besten ein.

warum das alles überhaupt ein thema ist?

nun, weil selbstsabotage zu unglaublich viel frust in der hundeerziehung führt (für mensch und hund),
weil es uns den spaß am nötigen üben verleidet
und weil es letzten endes immer der hund ausbaden muss.

sei es, dass er den frust abkriegt,
dass er nie das nötige rüstzeug bekommt, um seinen alltag zu meistern
oder dass wir ihm die schuld daran geben, dass das alles nicht funktioniert.
und die hat er einfach nicht.

über die autorin 

brigid

brigid weinzinger ist tiertrainerin und verhaltensberaterin für hund, katz, pferd und mensch. sie bloggt auf www.denktier.at über das leben mit tieren und tipps für deren ausbildung.