viele probleme mit dem hund im alltag oder in der erziehung widersetzen sich deswegen so hartnäckig den verschiedensten lösungsansätzen, weil eine gehörige portion (übermäßiger) erregung im spiel ist.
dieser stresspegel ist die ursache, warum selbst gewissenhaftes üben oft wenig bringt
und wieso der hund immer wieder in überschießendes verhalten und heftige reaktionen verfällt.
stressabbau ist daher angesagt.
doch löst der die probleme dann auch wirklich?
ja und nein.
es kommt drauf an.
es gibt manche probleme, die erst aus der zu hohen aufregung entstehen,
und die sich ziemlich in nichts auflösen, wenn die aufregung heruntergeschraubt werden kann.
so gesehen ist stressabbau gold wert.
allerdings gilt das nicht für alle schwierigkeiten, die der hund (oder der mensch mit dem hund) hat.
schließlich sind hunde vielschichtig, der hund macht laufend lernerfahrungen – auch mit den stressbedingten reaktionen –
und die probleme können unterschiedliche ursachen haben.
schauen wir uns drei beispiele genauer an
und überprüfen wir anhand von ihnen, welchen stellenwert der stressabbau hat
und wo er alleine jedenfalls nicht ausreicht.
1. aufmerksamkeit
sagen wir mal, der hund ist draußen kaum ansprechbar.
man sagt was zu ihm, gibt ihm ein signal oder will was – und er ignoriert einen nur.
das kann nun einerseits daran liegen,
dass er vor lauter stress eine welt völlig anders wahrnimmt und tatsächlich kaum hört, was der mensch sagt.
er ist dann wie im „tunnel“, fokussiert auf das, was gerade vor seiner nase ist.
eine weitere wahrnehmung ist ihm nicht möglich, konzentration und impulskontrolle sowieso nicht.
in einem solchen fall bringt das üben von rückruf genausowenig
wie die diversen übungen für mehr impulskontrolle.
der hund kann einfach nicht anders.
er muss erst von seinem stresspegel herunter,
damit er die welt um sich herum wieder mitkriegt.
anders sieht das aus, wenn der hund schlicht gelernt hat,
dass es nichts bringt, auf seinen menschen zu hören.
weil schlampereien in der erziehung vorliegen, weil der mensch seine signale dauernd wiederholt
oder weil er dem hund die bedeutung der signale nie vernünftig beigebracht hat.
so ein hund könnte von stressabbau vielleicht auch profitieren.
er muss aber in erster linie erst mal lernen,
seinem menschen mehr aufmerksamkeit zu schenken – weil sich das lohnt
und weil es mit ihm gezielt geübt wurde.
zum beispiel mit dem aufbau eines aufmerksamkeitssignal, das jeder hund kennen sollte
(wer noch keines hat oder eines neu aufbauen möchte, kann sich gleich hier zur kostenlosen „aufgepasst-challenge“ anmelden).
gut wäre es auch, wenn der mensch sich um eine klare kommunikation,
um gutes timing der signale und eindeutigkeit bemüht.
dann klappt es auch mit der aufmerksamkeit besser.
2. bellen
ein verhalten, das sehr eng mit aufmerksamkeit zusammenhängt, ist das bellen.
je aufgeregter der hund ist, desto eher bellt er.
je mehr er bellt, desto aufgeregter wird er.
wer ein problem mit bellen hat, muss also dringend an der stellschraube „aufregung“ drehen (nämlich runter damit!)
aber….
damit alleine ist es gerade beim bellen nicht getan.
denn bellen hat immer auch eine selbstbelohnende wirkung.
und in aller regel wird der hund dafür auch von außen belohnt –
vom eigenen menschen, der dann was zu ihm sagt.
von anderen menschen, die ihn daraufhin ansprechen oder weggehen.
von anderen hunden, die auf ihn reagieren, usw.
das bellen entsteht oft, weil der hund überdreht und viel zu aufgeregt ist.
also durch stress.
dann aber stellt er fest, dass er damit erfolgreich unterwegs ist
und macht es als gelerntes verhalten weiter,
selbst wenn der stresspegel wieder halbwegs unten ist.
3. leinenpöbeln
auch beim leinenpöbeln oder aufgeregtem verhalten bei hundebegegnungen haben wir es mit beiden faktoren zu tun:
mit stress und mit lerneffekten.
häufig fängt der hund deswegen mit dem hinzerren oder in die leine springen oder bellen an,
weil er es so aufregend findet, einen anderen hund zu treffen.
junghunde haben sowieso häufig einen hohen erregungspegel und sind schnell gefrustet,
wenn sie nicht gleich zum anderen hin dürfen.
oft genug wird der hund dafür dann noch belohnt,
weil man entweder versucht, ihn abzulenken,
oder weil er dann an straff gespannter leine zum anderen hindarf oder möglichst rasch abgeleint wird.
wie soll er da ruhige annäherung oder gelassenes vorbeigehen lernen?
das wird noch durch ein element verschärft: konditionierte aufregung.
der hund speichert ab: hundebegegnungen sind immer super aufregend.
er regt sich schon immer früher auf und reagiert immer heftiger,
was dann auch den menschen stresst und aufregt und man schaukelt sich gegenseitig hoch.
man braucht gar nicht anfangen, leinenbegegnungen zu üben,
wenn man nicht zumindest parallel ernsthaft am stressabbau arbeitet.
oft genug reicht ein konsequentes anti-stress-programm sogar,
damit leinenbegegnungen ruhiger ablaufen.
hat der hund allerdings angst vor anderen hunden
oder glaubt aufgrund schlechter erfahrungen, sich wehren zu müssen,
hilft der stressabbau alleine nicht.
zusätzlich muss man dem hund dann sicherheit geben
und gelassene begegnungen mit ihm gezielt üben,
damit er mit seinen zugrundeliegenden emotionen klar kommt.
was wiederum nicht geht, solange er gestresst ist.
weil stress ja alle emotionen viel intensiver macht
und der unsichere hund dadurch umso ängstlicher wird
und der abwehrbereite hund dadurch umso rascher in die leine knallt.
stressabbau ist zentral, aber nicht immer genug
man muss also das fazit ziehen:
stressabbau alleine reicht bei weitem nicht zur lösung aller probleme.
man braucht aber bei den meisten problemen gar nicht mit üben anfangen,
solange man keinen stressabbau gemacht hat,
weil es schlicht nicht klappt.
in fast allen situationen, wo der hund ein unerwünschtes verhalten an den tag legt,
braucht er für das passende verhalten gelassenheit, ruhe und impulskontrolle.
und genau die hat er bei erhöhtem stress nicht.
daher: erst stress abbauen.
dann den noch vorhandenen rest vom problem mit den passenden übungen angehen.
und schon ist alles viel schneller wieder im lot, als man denken würde.